Stellungnahme zur Bundestagswahl 2025
Für eine politische Orientierung an Fakten und der historischen Verpflichtung auf die Menschenrechte!
31. Januar 2025Wir, wissenschaftliche Vereinigungen der Forschung zu Migration, Integration, Rassismus und Menschenrechten, warnen anlässlich der Bundestagswahl 2025 eindringlich vor den Folgen einer Politik, die zunehmend grundlegende Menschenrechte missachtet und sich immer weniger an wissenschaftlichen Erkenntnissen orientiert.
Die deutsche Politik beteiligt sich aktuell an einem europäischen Wettlauf um eine repressive Migrations- und Integrationspolitik. Dabei wird das Asylrecht systematisch ausgehöhlt, zentrale Schutzmechanismen für geflüchtete Menschen werden demontiert, radikale Forderungen wie Ausbürgerungen, Abschiebungen in Kriegsgebiete oder die vollständige Grenzschließung dominieren die politische Debatte. Die Verfassung und Menschenrechte werden zur Verhandlungsmasse. Entsetzliche Gewalttaten wie die in Solingen, Magdeburg und Aschaffenburg werden von demokratischen Parteien benutzt, um diese Agenda voranzubringen.
Die öffentliche Aufmerksamkeit wird auf “die Migration” oder “die Migrant*innen” als Problem gelenkt. Diese Politik stigmatisiert die Betroffenen, führt zu einem nachweisbaren Anstieg rassistischer Gewalt und zu einer gesamtgesellschaftlichen Ausgrenzung. Diese Politik negiert die migrationsgesellschaftliche Realität in Deutschland und bedroht die Demokratie insgesamt. Sie spaltet die Gesellschaft und trägt zu einer Verrohung des politischen Diskurses bei.
Dabei verhindert sie auch das Angehen der Probleme, die wir alle täglich spüren: eine marode Infrastruktur, hohe Mieten, den Klimawandel und abnehmende Partizipationsmöglichkeiten von Menschen in prekären und sozial-ökonomisch schwierigen Lebenslagen. Im Gegenteil werden Institutionen, an denen Demokratie gelernt werden kann, wie Kitas, Schulen, Bildungsträger und kulturelle Einrichtungen finanziell ausgehöhlt. Soziale Schutzmaßnahmen wie Frauenhäuser, der soziale Wohnungsbau oder psychosoziale Hilfsangebote werden vernachlässigt. Gute Bildung, Ausbildung und damit auch gesellschaftliche Teilhabe für Alle wird kaum mehr als politisches Ziel formuliert.
Wir wenden uns gegen einen populistischen Diskurs, der auch in der politischen Mitte um sich greift. Gegen einen Diskurs des Nationalismus, der Migration als Bedrohung inszeniert sowie Abschiebungen und Grenzschließung als Lösungen für zentrale gesellschaftliche Probleme suggeriert. Diese kaum noch erkennbaren inhaltlichen Unterschiede zu rechtsextremen Positionen in der Flüchtlingspolitik fördern die zunehmende Normalisierung menschenfeindlicher Positionen.
Die Auswirkungen auf Wissenschaft und Forschung
Diese Politik betrifft auch uns als Wissenschaftler*innen, obgleich in den letzten Jahren der Ausbau der Migrationsforschung finanziell gefördert wurde. Wir beobachten, dass zahlreiche politische Entscheidungen im Bereich Migration im Widerspruch zu den grundlegenden wissenschaftlichen Erkenntnissen stehen. In den Medien finden sich Meinungsbeiträge, die sich als Wissenschaft ausgeben und mit veralteten Konzepten wie der Kulturkonflikttheorie oder mit Pullfaktoren argumentieren. Diese Ignoranz bedroht die gesellschaftliche Kraft der Wissenschaft als Ganzes. Denn unter dem Eindruck rechter Einflussnahme werden Disziplinen, die sich mit sozialen Ungleichheiten beschäftigen, wie die Gender Studies oder die Rassismusforschung, als unwissenschaftlich diskreditiert. In den USA zeigt sich bereits, welche gesellschaftlichen Folgen das hat: hier wird aufgrund politisch-ideologischer Vorbehalte sogar die medizinische Forschung angegriffen, mit fatalen Folgen für die weltweite Gesundheit.
Appell für eine offene Gesellschaft
Die sich abzeichnende autoritäre Wende gefährdet die Grundlagen einer offenen, demokratischen Gesellschaft. Wir wissen, dass die Erkenntnisse der Migrations-, Integrations- und Rassismusforschung unverzichtbar sind, um eine gerechte und vielfältige Gesellschaft zu gestalten.
Wir nehmen diese Verantwortung ernst und fordern alle demokratischen Kräfte – insbesondere die zur Wahl stehenden politischen Parteien – auf, ihre Verantwortung ebenfalls wahrzunehmen und in konkretes Handeln umzusetzen. Politische Entscheidungen müssen sich an wissenschaftlichen Erkenntnissen orientieren, nicht an ideologischen Annahmen. Deutschland muss die Vorgaben des Grundgesetzes und internationaler Abkommen kompromisslos einhalten. Andernfalls drohen weitere Beschneidungen grundlegender Menschenrechte für alle. Demokratische Strukturen wie Schulen, Bildungseinrichtungen, kulturelle Institutionen und soziale Schutzräume müssen gestärkt statt kaputtgespart werden. Politische Debatten dürfen nicht zur gesellschaftlichen Spaltung beitragen, sondern müssen die Regeln demokratischer Auseinandersetzungen respektieren und auf Zusammenhalt und Solidarität abzielen.
Nur durch eine Rückbesinnung auf Fakten, Menschenrechte und demokratische Werte kann eine Politik gelingen, die Deutschland und Europa langfristig stärkt.
Ein PDF der Stellungnahme können Sie hier herunterladen.
Zeichnende Institutionen:
Rat für Migration (RfM)
Institut für Migrationsforschung und Interkulturelle Studien (IMIS)der Universität Osnabrück
Center for Global Migration Studies (CeMig) der Universität Göttingen
Zentrum für Bildungsintegration (ZIB) der Stiftung Universität Hildesheim
Zentrum Flucht und Migration (ZFM) der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt
Projektkoordinator Wissensnetzwerk Rassismusforschung (WinRa) des DeZIM-Instituts
Arbeitsbereich Bildung in der Migrationsgesellschaft (ABiM) der Universität Bremen
Forschungszentrum Migration & Globalisierung der Universität Innsbruck
Die Liste der Zeichnenden wird laufend auf der Seite des Rats für Migration aktualisiert: https://rat-fuer-migration.de/2025/01/31/fuer-eine-politische-orientierung-an-fakten-und-der-historischen-verpflichtung-auf-die-menschenrechte/"